Oliv Architekten
Thomas Sutor,
Igor Brncic,
Marcus Beuerlein
Interview Hülle, Verdichtung. „Der Arbeitsplatz wird zur Heimat. Ein Ort, der Wohlempfinden, Freude, aber auch Konzentration möglich macht.“
1. Sie haben eine eindrucksvolle Bestandsarchitektur von Lauber & Wöhr vorgefunden. Wie schafft man es, einerseits respektvoll mit dem Bestand umzugehen und gleichzeitig Neues zu erschaffen?
Jedes Jahrzehnt hat eine gewisse Art der Architektur. So wie das ehemalige Verwaltungsgebäude der Allianz aus den 90er Jahren von Lauber & Wöhr, Schülern von Richard Meier. Es handelt sich um eine großzügige, expressive Architektur mit großen Luftlöchern, besonders im Längskörper, mit Räumen, die nicht genutzt werden. Dies entspricht nicht mehr ganz den heutigen Ansprüchen. Fläche ist heute sehr wertvoll. Die große Herausforderung ist, dass wir die bestehenden Raum-Ressourcen nutzen, um eine Neuinterpretation des Gebäudes vorzunehmen. Wir verbinden, stocken auf, verdichten, optimieren und sorgen gleichzeitig dafür, dass die Bestandsarchitektur ablesbar bleibt. Damit schaffen wir 23 Prozent mehr Fläche, verändern Abläufe im Baukörper und schaffen mit der Verwendung nachwachsender Baustoffe einen zukunftsfähigen Entwurf für neue Bürowelten.
2. Was sind die Herausforderungen vor dem Hintergrund sich verändernder Arbeitsmodelle?
Der Anspruch ist, dass ein Bürogebäude nicht mehr wie ein reines Bürogebäude wirken soll. Die Zeiten der Nine-to-five-Jobs sind vorbei. Bürogebäude werden jetzt zu Aufenthaltsgebäuden, zu Meetingplaces, werden zur Wohnung, zum Hotel. Daran wird auch der Homeoffice-Trend langfristig nichts ändern. Dieser Run wird sich nach der Pandemie verlieren, weil Motivation, das Lernen voneinander durch den Austausch mit Menschen entsteht, weil Menschen mit Menschen zusammen sein wollen. Nur deshalb gibt es Städte. Der Arbeitsplatz wird zur Heimat. Ein Ort, der Wohlfühlen, Freude aber auch Konzentration möglich macht. Das „Innenfeeling“ moderner Büroarchitektur ist entsprechend haptisch, warm. Durch die Verwendung von Holz riecht es auch wie ein Zuhause.
3. Wie passt das neue „aer“ in das sich ebenfalls dynamisch verändernde Neuperlach?
Neuperlach ist eine Satelliten-Stadt, die jetzt neuentdeckt wird. Das Revival wurde dadurch ausgelöst, dass die Leute gemerkt haben, welche Vorteile dieser Standort hat. Er hat beste Anbindung zu den Bergen und ist nah an der City, er besitzt eine hervorragende Infrastruktur und viele freie, grüne Flächen zwischen den Gebäuden. Etwas Vergleichbares gibt es in der City nicht. Diese Qualität wird jetzt wiederentdeckt und genutzt. Wie beim „aer“ erhält man die Grünflächen, plant innerhalb des Fußabdrucks des Gebäudes in die Höhe und verdichtet die Gebäudestruktur. Damit wird das Gebäude aus den 90ern in die heutige Zeit überführt. Etwa durch die heterogene Nutzung mit einer Fitnessfläche im Keller, mit neuen Büroflächen, die von beiden Seiten belichtet sind, aber auch mit der Begrünung des Dachs, wo wir einen weiteren attraktiven Rückzugsraum schaffen, den es vorher nicht gab. Somit ist Neuperlach städtebaulich eine Vorlage für die Neukonzeption des „aer“, wo wir aufstocken und verdichten, verbinden, ohne weitere Fläche zu versiegeln.
4. War es einfach, Ihre Vision von einer modernen, nachhaltigen Büroimmobilie zu verwirklichen? Wie sieht es mit der Akzeptanz von Investoren und Entwicklern aus?
Es sind gerade auch die großen Entwickler, die das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile als Prämisse ausgeben. Noch vor fünf Jahren hätte man vielleicht gesagt, „experimentelle Architektur“, heute sind sogar eher konservative Entwickler bereit, neue Wege zu gehen. Sie wissen, dass Gebäude mehr können müssen als früher, dass die CO2-Bilanz stimmen muss, dass Holz als Baustoff wertiger ist als etwa Beton, dass Menschen sich wohl fühlen sollen. Diese Entwicklung, das Vertrauen freut uns, denn Architektur kann nur so gut sein, wie der Bauherr es zulässt.
5. Ein Blick in die Zukunft …
Noch in den 80er, 90er und 2000er Jahren gab es Bürogebäude, in denen Menschen sich nicht wohl fühlten. Deshalb sehen wir jetzt eine gute Entwicklung, die den Menschen, sein Wohlbefinden und damit auch seine Motivation und Leistungsfähigkeit mehr ins Zentrum rückt. Mit guter Architektur ist es wie mit gutem Essen. Von der Scheibe Toast mit Käse jeden Tag werden wir satt, aber wie viel besser geht es uns, wenn wir die Raffinesse einer frischen Pasta mit Gemüse genießen. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. So ist es auch mit der Architektur. Sie soll dem Menschen Freude machen.